Jobcenter-Mitarbeiter fürchten um ihr Leben

Jobcenter-Mitarbeiter müssen oft Entscheidungen treffen, die das Leben von Menschen existenziell verändern können: Für die Betroffenen sind sie die Person, die entscheidet, ob jemand auf „Hartz IV“-Niveau abrutscht oder Leistungen gestrichen bekommt.

Immer wieder machen Fälle Schlagzeilen, in denen Bürger im Jobcenter-Büro ausrasten und die Mitarbeiter massiv angreifen.

Einige Beispiele:

  • Ende 2016 griff ein Mann einen Jobcenter-Mitarbeiter in Dietzenbach mit einem Hammer an. Der Mitarbeiter wurde schwer verletzt.
  • 2014 erstach ein Mann einen Jobcenter-Mitarbeiter in Rothenburg.
  • 2012 wurde eine Mitarbeiterin des Jobcenters Neuss von einem Antragsteller erstochen.

Die Todesfälle sind glücklicherweise Ausnahmen. Aber für viele Jobcenter-Mitarbeiter ist die Angst vor den eigenen „Kunden“ – wie es dort heißt – trauriger Alltag. Eine Ahnung davon, wie es in den Büros zugehen kann, bietet ein Projekt der DBB-Jugend Nordrhein-Westfalen, der Nachwuchsorganisation des Deutschen Beamtenbundes NRW. Seit dem vergangenen Jahr sammelt man dort anonymisierte Erfahrungsberichte von Jobcenter-Mitarbeitern, JVA-Bediensteten, Busfahrern und anderen Berufsgruppen im öffentlichen Dienst. Eine Auswahl:

  • „Ein Kunde schlug mir einen ganzen Stapel meiner Akten gegen den Kopf, weil ich seine Leistungen nach dem SGB II nicht auszahlen durfte. Anschließend schlug er mit der Faust nach mir – ich lag bereits am Boden. Kollegen kamen mir zur Hilfe, weil der damalige Notfall-Knopf vermutlich wegen Systemauslastung nicht funktionierte.“
  • „Bei der Vorsprache eines Kunden mit seinem Betreuer bei uns im Jobcenter tickte der Kunde, nachdem ich ihn um Vorlage seines Personalausweises gebeten hatte, völlig aus. Er schmiss Teile meiner Büroeinrichtung aus dem Bürofenster im dritten Stock, warf mir Gegenstände an den Kopf, beleidigte mich aufs Übelste und griff mich körperlich an. Mit einem Karate-Tritt traf er mich am linken Oberarm. Das Ergebnis: Risswunde, Schleudertrauma und Posttraumatische Belastungsstörung.“
  • Ein Antragsteller muss nach Ummeldung einen Antrag neu stellen. Dann kippt die Situation: „[Der Antragsteller] stand auf, nahm seine mitgebrachten Papierunterlagen, beugte sich über den Arbeitsplatz des Sachbearbeiters und beschimpfte ihn wortwörtlich mit: ‚Weißt du was? Sie können mich am Arsch lecken! Arschloch!‘ Danach ohrfeigte er den Sachbearbeiter mit seinen gebündelten Papierunterlagen.“

Gemeldete Fälle wohl nur Spitze des Eisbergs

Ähnliche Erfahrungsberichte gibt es auch aus anderen Teilen Deutschlands. So berichtete eine Jobcenter-Mitarbeiterin aus Kiel dem „NDR“, sie sei sogar schon mit dem Tode bedroht worden. „Am schlimmsten war die Morddrohung“, zitiert der Sender sie. Diese sei aus dem Nichts gekommen und sie habe nicht gewusst, wie sie damit umgehen sollte. Ein anderes Mal spuckte ihr ein Antragsteller ins Gesicht. „Es gibt kaum etwas Erniedrigenderes“, sagte sie dem Sender.

Nehmen die Angriffe auf Jobcenter-Mitarbeiter insgesamt zu? Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn längst nicht alle Vorfälle landen als Arbeitsunfall beim zuständigen Versicherungsträger. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) vermutet sogar, dass ein „Großteil der Gewalterlebnisse“ nicht als Arbeitsunfall gemeldet wird.

Das gelte besonders für verbale Gewalt wie Beleidigungen oder Drohungen, wie es auf FOCUS-Online-Nachfrage heißt. Für das Jahr 2015 gibt die DGUV an, dass 3,4 Prozent der gemeldeten Arbeitsunfälle mit Gewalt zu tun hatten. Die Zahl bezieht sich allgemein auf Angestellte des Öffentlichen Dienstes, nicht nur auf Jobcenter-Mitarbeiter.

Studie: Mitarbeiter erleben massive Gewalt

Dass die Dunkelziffer hoch liegen muss, zeigt eine umfangreiche Studie der Unfallversicherung aus dem Jahr 2011: Dabei gaben die Befragten aus zwölf Jobcentern an, dass sie ein bis zwei Mal im Jahr massive Gewalt erleben. Darunter fallen Drohungen, gewalttätige Übergriffe und sexuelle Aggression.

Bei einer Umfrage der DBB-Jugend NRW unter 836 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes aus dem Jahr 2016 gab fast die Hälfte der Betroffenen (46 Prozent) an, während der Arbeit bereits mehrfach angegriffen worden zu sein. 30 Prozent gaben an, schon einmal einen solchen Angriff erlebt zu haben. Nur 24 Prozent sagten, sie hätten noch keine verbale oder körperliche Gewalt in ihrem Beruf erlebt.

So erschreckend die Zahlen sind: Zum Bild gehört auch, dass die Jobcenter schon sicherer geworden sind, wie ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit zu FOCUS Online sagt. Als Beispiele nennt der Sprecher Notfallknöpfe für die Mitarbeiter und Deeskalationsschulungen.

Gewerkschaftsvertretern gehen die Maßnahmen allerdings nicht weit genug: So moniert der Sprecher der DBB-Jugend NRW, dass die Deeskalationsschulungen noch nicht für alle Mitarbeiter Pflicht sind. Außerdem fordert der Verband, dass alle Jobcenter zusätzlich zum Alarmknopf auch Notfallpläne einführen. „Wenn keiner weiß, was nach einem Alarm passieren muss, bringt auch so ein Knopf nichts“, sagt ein Sprecher der DBB-Jugend.

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