Der Arbeitsminister ignoriert die Gewalt in den Jobcentern

Die Angriffe durch Hartz-IV-Empfänger auf Jobcenter-Mitarbeiter nehmen zu. Aber eine Statistik dazu gibt es nicht. Arbeitsminister Heil erklärt sich für nicht zuständig. Die Mitarbeiter vor Ort haben mehr Fürsorge verdient, meint FDP-Politiker Kober im Gastbeitrag.

Im Januar verletzte ein Mann eine Jobcenter-Mitarbeiterin in Rottweil mit einem Messer so schwer, dass sie mit dem Rettungshubschrauber zur Notoperation in die Klinik geflogen werden musste. Im November attackierte in Nürtingen ein Mann einen Mitarbeiter des Jobcenters mit einem Hammer.

Die Arbeit in den Jobcentern der Republik wird immer gefährlicher. Das zeigen auch die gestiegenen Kosten für Sicherheitsdienste, die sich seit 2011 auf fast 18 Millionen Euro jährlich verdreifacht haben. Die ehemalige Personalverantwortliche der Bundesagentur, Valerie Holsboer, spricht von einer „Grundverrohung“, die sich in den Jobcentern breitgemacht habe.

Hubertus Heil gibt sich indes ahnungslos. Fragt man die Bundesregierung nach Gewalterfahrungen der Mitarbeiter in den Jobcentern, kann sie dazu nichts sagen. Entsprechende Daten würden nicht erhoben. Für die Sicherheit der Jobcenter sei der Leiter vor Ort zuständig, nicht die Bundesagentur, schon gar nicht der Minister.

Zwar gäbe es ein Muster-Notfall- und Sicherheitskonzept aus dem Jahr 2012. Ob es aber tatsächlich vor Ort umgesetzt wird, darüber kann das Ministerium keine Angaben machen – die Anwendung dieses zentralen Sicherheitskonzeptes erfolge freiwillig in eigener Verantwortung vor Ort. Auch die Meldung von Gewalttaten an die Bundesagentur erfolge auf freiwilliger Basis. So bleibt auch fraglich, auf welchen Fakten das Sicherheitskonzept erstellt wurde, wenn die Alltagserfahrungen in den Jobcentern vor Ort nicht erhoben werden und nicht einfließen konnten.

Hinterfragt man diese bemerkenswerte Praxis, so merkt man schnell: Geht es um die Sicherheit in den Jobcentern, diffundiert unter Hubertus Heil die Verantwortung ins Nirgendwo. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter dürfen aber den Anspruch haben, dass der Minister ihre Alltagswirklichkeit kennt und das für ihre Sicherheit Mögliche veranlasst. Denn nicht auszuschließen ist, dass auch zum Beispiel die überbürokratisierte und für die Betroffenen kaum noch verständliche und frustrierende Hartz-IV-Gesetzgebung ihren Anteil an der steigenden Gewalt hat.

Fragt man die Bundesregierung danach, so bekommt man die schmallippige Antwort, sie beteilige sich nicht an Spekulationen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen ist unter Hubertus Heil zum Prinzip des Arbeitsministeriums geworden. Wenn es um den Erfolg seiner Arbeitsmarktpolitik geht, werden aussagekräftige Daten einfach nicht erhoben, wie WELT in der vergangenen Woche berichtete.

Damit entzieht er sich lästiger Kritik durch die Opposition und vor allem lästiger Verantwortung. Wo es aber um Leben und Tod geht, sind solche Tricksereien zynisch. Gewaltereignisse müssen lückenlos dokumentiert werden. Das ist auch eine Frage der Würdigung der Menschen, die sich in den Jobcentern tagtäglich den Gefahren aussetzen müssen.

Außerdem müsste das Notfall- und Sicherheitskonzept nach acht Jahren, in denen die Gewalt immer mehr wurde, grundlegend überarbeitet werden. Seine Anwendung vor Ort muss künftig gewährleistet sein. Wenn sich eine Verteidigungsministerin für fehlende Schrauben an einem Flugzeug verantworten muss, ist es nicht zu viel verlangt, dass der Arbeitsminister sich persönlich der Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern annimmt, die tagtäglich die Vorgaben seiner Gesetzgebung umsetzen und mit Leib und Leben „haften“.

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